Die Waldorfschule Berlin-Mitte befindet sich in der historischen Spandauer Vorstadt, deren städtische Bebauung außerhalb der Berliner Festungsmauern im frühen 18. Jahrhundert begann. 1712/13 wurde die nahegelegene Sophienkirche eingeweiht. Zu dieser Zeit bestanden bereits ca. 500 Wohnhäuser. Ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft befand sich das Scheunenviertel, in dem sich auf Grund eines Befehls des Königs Friedrich Wilhelm I. aus dem Jahr 1737 ein Großteil der jüdischen Bevölkerung ansiedelte, und welches im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem Fluchtpunkt für jüdische Migranten vor der Verfolgung im Zarenreich in Berlin wurde.
Die schnell wachsende Bevölkerung machte es damals notwendig, neue Schulen zu errichten. Vor diesem Hintergrund erwarb der Magistat von Berlin 1864/1865 ein größeres Areal zwischen Weinmeister- und Steinstraße und baute dort bis 1867 ein Gymnasium und eine Realschule. Im Laufe der Jahre kamen eine Sporthalle (in der Steinstraße und der Bau eine Mädchenschule an der Weinmeisterstraße 16-17 hinzu. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Areal stark beschädigt und einschließlich der noch bestehenden Wohnbebauung auf der Ecke Weinmeister- und Gormannstraße abgerissen. Nur ein Kellerflur unserer Schule und das ehemalige Direktorenhaus in der Weinmeisterstraße 15, in dem sich heute ein kommunales Jugendfreizeitzentrum befindet, zeugen von dieser Geschichte.
Zu den abgerissenen Gebäuden zählte auch das Israelitische Heimathaus in der Gormannstraße 3, die heute Teil des Schulgeländes ist.
Gormannstraße 3, das war das 1895 vom Philanthropen Hermann Abraham (Tagesspiegel, Wikipedia) gestiftete und erbaute Israelitische Heimathaus als Ort der Wohlfahrtspflege für das Scheunenviertel, in dem neben einem Altersheim, eine Hauswirtschaftsschule für Mädchen, eine Volksküche mit täglich etwa 300 Essen für Bedürftige, ein Lesesaal und vieles mehr eingerichtet waren, und wo sich ab ca. 1923 der Raum für den Sonntagsclub der „Weltvereinigung Kinder-Freunde“ von Jacob Teitel und Fischl Schneerson befand.
Ab Juni 1942 war diese Adresse zu einem Bestandteil des Systems zur Vernichtung der Juden in der NS-Diktatur geworden. Die Bewohner des Altersheims wurden zunächst mit den sogenannten Alterstransporten in das Konzentrationslager nach Theresienstadt deportiert, wahrscheinlich 118 Personen, von denen wir bislang ca. 50 Namen aus den Transportlisten ermitteln konnten. Schließlich, nach seiner Räumung, wurde die Küche weiter als Versorgungsküche für das in der Großen Hamburger Straße gelegene Sammellager genutzt, bevor es Ende 1943 geschlossen und bis Kriegsende schwer beschädigt wurde. Inzwischen erinnern drei Stolpersteine an Meier Max Buchheim und Paula Buchheim sowie an Herbert Haas aus der Gormannstraße 1, ein weiterer befindet sich in der Weinmeisterstraße 16 für Margarete Draeger.
Zum Gedenken an die Gormannstraße 3 stehen wir mit dem Bezirk in Verhandlung, den kleinen Park zwischen Rosenthaler- und Gormannstraße nach Jacob Teitel zu benennen. Auch in Schülerprojekten halten wir die Erinnerung wach und setzen uns mit der Geschichte des Ortes auseinander.