Es war der 4. November 1989. Auf zahllosen Plakaten, die an diesem Tag bei der großen Demonstration auf dem Alexanderplatz in die Luft gehoben wurden, um eine Veränderung der politischen Situation einzufordern, gab es auch solche, die eine Veränderung der Schullandschaft und die Gründung von Waldorfschulen wünschten.
Schon am selben Abend trafen sich viele interessierte Studentinnen und Studenten sowie aktive Lehrer*innen in den Räumen der Christengemeinschaft in der Schwedter Straße zu ersten Beratungen. Der Wunsch nach Veränderung, der an diesem Tage so vielfach zum Ausdruck kam, lief nun mit dem Impuls von Margarete Heinrich (1922-2016), einer ehemaligen Waldorflehrerin, zusammen. Sie erkannte, dass die politische Situation für eine Schulgründung reif war und brachte die notwendige Erfahrung für eine Waldorfschulgründung mit. Aus der großen Zahl der Interessenten befähigte sie ein Gründungskollegium von elf Menschen, die so schnell wie möglich mit der Schule beginnen sollten, weil es nicht absehbar war, wie lange die Türen für ein solches Unternehmen offen blieben.
Als am 3. September 1990 in der Dresdener Straße 113 eine der ersten Waldorfschulen der noch existierenden DDR ihre Tore öffnete, lag hinter den Lehrer*innen und Eltern eine große Anstrengung. Neben der inhaltlichen Vorbereitung musste ein ehemaliges Staatssicherheitsobjekt, von dem noch lange die alten Telefonhörer in den Baumwipfeln vor der Schule kündeten, in nur dreieinhalb Monaten in eine Waldorfschule verwandelt werden.
Noch umgaben die Schule, die direkt am ehemaligen Todesstreifen an der Grenze zu Kreuzberg gelegen war, zwei Grenzmauern, die mit der Eröffnungspolonaise der Kinder am ersten Schultag symbolisch und wahrhaftig durchbrochen wurden. Mehr als 140 Schülerinnen und Schüler der Klassen 1 bis 5 begannen mit neun Lehrerinnen und Lehrern ihren ersten Hauptunterricht. Das bis dahin einheitliche Schulsystem der DDR war mit diesem Akt aufgebrochen.
Nach Jahren der lebendigen, aber doch behelfsmäßigen Unterbringung zwischen Mitte und Kreuzberg erhielt die Schule 2001 durch den Bezirk Mitte ihre heutige Bleibe. Nach einer aufwändigen Sanierung der Gebäude konnte sich die Schule hier zu ihrer heutigen Gestalt finden.